Ein Film tourt durch das Land
"Little Alien": Der gelungene Blick in die Welt junger Asylsuchender. Jetzt kommt der Film in die Schulen.
Stark bejubelt wurde am Donnerstagabend die Premiere von Nina Kusturicas Dokumentarfilm "Little Alien" im Wiener Gartenbaukino. Seit Freitag läuft die Dokumentation in den heimischen Kinos.
Die vom ORF mitproduzierte Dokumentation, die bereits auf der Diagonale vorgestellt wurde und auch international bereits Beachtung fand, zeigt das Schicksal junger Asylsuchender, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind - und schaut dabei nicht nur auf den Umgang der Behörden mit den jungen Menschen, sondern folgt ihnen unaufdringlich beim Versuch, ein neues Leben fernab der Heimat zu finden.
Ein Film auf der Suche nach den Grenzen
Den Titel "Little Alien" begründete die junge bosnische Filmemacherin, die selbst vor 17 Jahren als Flüchtling nach Österreich kam, mit den vielfältigen Erfahrungen von Fremdheit, die diese jungen Menschen machen. Bei ihrer Arbeit ging sie bis an die Grenzen von Europa, filmte an der ukrainisch-slowakischen Grenze ebenso wie im griechischen Hafen Patras und der Stadt Athen und am Rande der spanischen Enklave Ceuta.
Teilweise kamen die Bilder unter abenteuerlichen Bedingungen zustande. So wurde in Marokko Filmmaterial beschlagnahmt. Aber, so erinnerte Kameramann Christoph Hochenbichler
bei der Premiere: Auch in Österreich sei man mit der Tatsache konfrontiert gewesen, dass viele diesen Film nicht wollten.
Keine Scheu vor beklemmenden Bildern
Zwei Jahre haben Kusturica und ihr Team an diesem Film gearbeitet. Kusturica versucht aus dem Blickwinkel einer jungen Generation das Thema Asylsuche aufzuarbeiten. Sie scheut dabei nicht beklemmende Bilder - zugleich widmet sie sich ihren jungen Protagonisten mit großer Zuneigung.
Der Film oszilliert zwischen einer grundsätzlichen Betrachtung der Themen Asyl und Flucht - zugleich widmet er sich aber den Einzelschicksalen. Vor allem auf die Barrieren schaut Kusturica immer wieder ganz genau. Etwa, wenn sich die Geflüchteten mit für sie unverständlichen Begriffen wie Devolutionsantrag, subsidiärer Schutz, weiße Karte, erstauszustellender Bescheid, Paragraf 8 auseinandersetzen müssen.
"Problematisch war es zu lernen, dass auch die Helfer, so gutwillig sie auch sind, auf der anderen Seite stehen", erläuterte Kusturica im Vorfeld der Premiere.
Botschaft an die Jungen
Mit dem Film, der nun in den Kinos läuft, möchte man vor allem eine junge Generation erreichen - wohl auch, um zu zeigen, dass Jugendliche aus Afghanistan und Afrika in recht ähnlichen Gefühlswelten leben wie jene aus Mitteleuropa.
Kusturica geht deshalb mit dem Film auf Tour und will vor allem Schülerinnen und Schüler erreichen. Aus dieser Begegnung könnte sich, gerade mit einem Film, der die Sprache der Popkultur beherrscht, ein neues Verständnis für ein politisch plakativ abgehandeltes Thema ergeben.

Gerald Heidegger, ORF.at

 

Leben in der Ungewissheit
Eindringliche Einblicke in den Alltag junger Flüchtlinge:
Nina Kusturicas „Little Alien“
Little Alien hat einerseits ein feines Sensorium für diese Versatzstücke systematischer Ausgrenzung und Abschottung. Wiewohl die dafür Verantwortlichen nie im Film auftauchen, werden die Apparaturen, Grenzwälle, Überwachungsanlagen als gemachte wahrnehmbar – auch den österreichischen Beratungsautomaten hat schließlich jemand entworfen und “gefüllt”, Donauwalzer inklusive.
Anderseits ist Little Alien den Teenagern mit großer Empathie zugetan: Neben Asha und Nura aus Somalia stehen vor allem Jawid und Alem aus Afghanistan im Zentrum von Kusturicas Beobachtungen in Wien. Ihre Schicksale bleiben insgesamt fragmentarisch, aber in jeweiligen Szenen werden sie ganz nahe und konkret: Bei Streifzügen durch die neue Heimat, die nicht nur von Sprachgrenzen eingeengt werden, bei kleinen Tändeleien, einer improvisierten Geburtstagsfeier oder dem Feilschen in der Kleiderkammer, wenn die Betreuerin für warme Kleidung plädiert und den Teenagern andere Qualitäten wichtiger sind.
Aber auch, wenn es darum geht sich zwischen zwei möglichen Vorgehensweisen im Asylverfahren zu entscheiden und niemand einen verbindlichen Ratschlag geben kann; beim abendlichen Zusammentreffen mit einer harschen Polizeistreife, die Ausweise sehen will, oder wenn ein Freund nach seiner Abschiebung aus dem fernen Griechenland anruft.
In und zwischen diesen Szenen und Skizzen eines Alltags entsteht ein differenziertes Gegenwartsbild. Das entspricht in seiner Offenheit der Komplexität des Themas genauso wie der Integrität seiner Protagonisten.

Isabella Reicher, Der Standard, Print-Ausgabe 08.Oktober 2009

 

"Der Beamte hat mir eine blöde Frage gestellt"
Einen fesselnd-schlichten Film hat Nina Kusturica jungen Flüchtlingen in Österreich gewidmet
"Vier Polizisten haben mich vor ein paar Tagen verprügelt. Da tut es mir heute noch weh", sagt der dunkeläugige Junge, höchstens 13 Jahre alt, und deutet auf seinen Rücken. Es scheint, als erzählte er einen Actionfilm nach, der ihn kaum berührt hat. Zu viel hat er zuvor erlebt, um neuen Schrecken nah an sich heranzulassen. Die Buben im Sitzkreis nicken dazu, sie alle haben ähnliche Geschichten zu erzählen. Ein nächtlicher Kaffeetratsch unter Kinderflüchtlingen am Hafen von Patras, Griechenland, Europäische Union.
Lagerfeuer aus Müll
Was Nina Kusturica in ihrem Dokumentarfilm "little alien" erzählt, wäre kaum zu glauben, hätten nicht Flüchtlingsorganisationen und das UNO-Flüchtlingshochkommissariat wiederholt darüber berichtet: An den Rändern der Festung Europa ist Menschenrechtsverletzung Routine. Kusturica stellt abstrakten Begriffen menschliche Schicksale gegenüber - Kinder, die mit streunenden Katzen in Abbruchhäusern Kaffee über einem Lagerfeuer aus Müll kochen, Pläne für die Überfahrt in die Mitte Europas schmieden, und am Münzapparat dem Vater in Afghanistan versprechen, dass alles gut wird.
"Little alien" begleitet die, die jung und unbegleitet sind, aber im ersten Dutzend ihrer Lebensjahre mehr Erfahrung angesammelt haben als die Mehrheit des Wiener Kinopublikums. Eben erst angekommen in Traiskirchen, sprechen sie kaum Deutsch, kennen aber mehr Paragrafen beim Namen als der durchschnittliche österreichische Staatsbürger. Schließlich hängt ihr Schicksal davon ab: Vom Gesetz, dessen Auslegung, vor allem aber davon, "ob man dir glaubt" - so das Zitat eines Asylberaters im Film.

Dein Ermessen, meine Abhängigkeit
"Der Beamte hat mir gerade eine wirklich blöde Frage gestellt", sagt Jawid, sichtlich erstaunt, nach der Vorladung beim Wiener Asylamt: Er habe gefragt, "woher ich weiß, wie alt ich bin." - "Hast du ihn auch gefragt, woher er selbst sein Alter kennt?", gibt ein Freund zurück. Nur kurz wird gelacht im Kinosaal: Zu drastisch leuchtet hier auf, was die Essenz des Asylverfahrens ist: Was den einen Ermessensspielraum, ist den anderen absolute Abhängigkeit. Alles richtet sich nach der Sorgfalt, der Laune, der Gesinnung, und der Zuneigung jenes Menschen, der gerade Gesetz anzuwenden hat.
Vorladungen beim Asylamt durfte Kusturica nicht filmen. Kurze Zitate der Betroffenen, die das Gespräch mit den BeamtInnen skizzieren, sprechen Bände. So erzählt Ahmed, er sei vom Beamten über seine sexuellen Erfahrungen ausgefragt worden. "Die Österreicher haben schon mit 14 Sex", sagt er zum Freund, während sie mit der Straßenbahn durchs winterliche Wien fahren."Guten Appetit, den sollen sie haben. Aber wenn wir es auch haben, dann sagen sie: 'Du bist sicher über 18'."

Nah am Individuum
So komplex das Thema ist, so greifbar wird es durch Kusturicas Herangehensweise: Sie verwendete viel Zeit darauf, das Vertrauen der ProtagonistInnen zu gewinnen. Umso spürbarer und direkter werden die Szenen, die mitunter fast befremdend intim werden.
Erst habe sie gegrübelt, ob sie das Thema besser in einen Spielfilm oder in einen Dokumentarfilm packen sollte, sagt Nina Kusturica. Die Frage entschied sich quasi von selbst, als sie während der Recherchen bei einem Behördengang eines Asylwerbers dabei war. Der Junge wurde aufgefordert, sich selbst ein Geburtsdatum auszusuchen, da ihm nur das Geburtsjahr bekannt war. "Das war so absurd, dass ich wusste: Das wird ein Dokumentarfilm", sagte sich Kusturica damals: "Wenn ich so eine Szene in ein Drehbuch schreibe, glaubt mir das niemand." Wärmstens empfohlen.

Maria Sterkl, derStandard.at, 7.Oktober 2009


„Little Alien“: Fast von riesigen Rädern überrollt

Little Alien ist auf die Erfahrungswelt der Flüchtlinge zugeschneidert: Die einfache Strategie löst das Thema von der medialen und politischen Instrumentalisierung. Die Verwässerung durch Anrührungs- und Mitleidstaktiken wird gemieden: Ein Mann schikaniert und beleidigt Asha und Nura am Bahnhof, eine Begleiterin meint, „dass dieser Mann Angst davor hat, dass ihm etwas weggenommen wird“. Die Frauen lächeln; später plaudern sie über Schönheitsoperationen, Shakira und Jennifer Lopez. Gerade das Beiläufige und Alltägliche ist wertvoll bei einer Thematik, die der breiten Öffentlichkeit nur über politische Polemiken und Nachrichtenbeiträge vermittelt wird.
Gezeigt wird auch, woher die Asylsucher kommen. In Nordafrika oder Griechenland halten junge Männer Ausschau nach Lastwagen mit tauglichen Unterböden: Ein Junge kriecht zwischen gewaltigen Rädern durch, wird dabei fast überrollt. Sein Blick findet die Regisseurin.
Für solche Momente haben Kusturica und Kameramann Christoph Hochenbichler ein gutes, sehr filmisches Auge.

Die Presse, Print-Ausgabe, 10.Oktober 2009

 

„Little Alien“: Eine Stille, die laut zum Himmel schreit
„Ich habe den Tod gerufen, aber er ist nicht gekommen. Sogar der Tod hasst uns.“ Jawid ist 16 und Flüchtling. Ganz allein ist der junge Afghane über Griechenland nach Österreich gekommen.
Sein Antrag auf Asyl liegt bei den Behörden in Wien. Seit zwei Jahren. Und da wird er angesichts fehlenden Personals auch noch einige Zeit bleiben. Unerledigt. Bis dahin kann Jawid weder arbeiten, noch eine eigene Wohnung beziehen oder seine Familie treffen.

... Auf klassische Interviews wird verzichtet, der Zuschauer wird zum Beobachter. Die Kamera ist immer dabei: bei der polizeilichen Einvernahme, den Gesprächen mit den Flüchtlingshelfern, beim Aussuchen der Kleidung in der Caritas-Sammelstelle, den privaten Telefongesprächen.

Streiflichter der Angst
Was die Jugendlichen erlebt haben, die persönlichen Fluchtgeschichten, die Schläge, die Einsamkeit, die Demütigungen – all dies erfährt man lediglich aus Andeutungen und Anspielungen, manchmal aus Witzen, die die Teenager untereinander reißen. Oft ist es nur eine leise Ahnung vom Ausmaß der persönlichen Tragödien, die der Zuseher erhascht. Es sind Streiflichter der Angst.
Schockierend ist das, was ungesagt bleibt. Wenn die Protagonisten plötzlich mitten im Satz verstummen, wenn die Worte fehlen, um zu beschreiben. Eine Stille, die laut zum Himmel schreit.
Die Botschaft des bedrückenden Films ist so einfach wie folgenschwer: Hinter jeder Zahl in der Ausländerstatistik steht ein Mensch, hinter jeder Nummer im System ein persönliches Schicksal.

Oberösterreichische Nachrichten, 10. Oktober 2009

 

Harte Realität
„Little Alien“ ist ein Film der nicht nur berührt, sondern auch zum Nachdenken anregt. In erschreckender Weise können die Schwierigkeiten der Jugendlichen bei ihrer Flucht beobachtet werden, gleichzeitig wird auch die andere Seite, in Form von hochtechnischen Grenzüberwachungsanlagen, gezeigt. Die Schauplätze der Dokumentation befinden sich mitten in Österreich, in Wien, Traiskirchen und Linz. Erstaunlich wie es der Regisseurin gelingt, ihre Bilder ganz ohne Vorwürfe oder einem gehobenen Zeigefinger zu verpacken.
Die Jugendlichen stehen im Vordergrund. Bewusst lässt die Regisseurin in ihrem Film Raum für emotionale und glückliche Momente. Sie zeigt verliebte Teenager, die ihre Jugend genießen, trotz Problemen mit Behörden und Paragraphen. In einem Interview mit Corina Milborn erklärt die Filmschaffende, sie habe bewusst zeigen wollen, dass sich die jugendlichen Flüchtlinge nicht von anderen Teenagern unterscheiden. So kann man im Film die Protagonisten fröhlich tanzen und im Schnee spielen sehen. Nina Kusturica ist selbst einmal Flüchtling gewesen und kennt die Schwierigkeiten, mit denen ihre Hauptdarsteller zu kämpfen haben. Jedoch weist sie in ihren Film immer wieder darauf hin, dass nicht jeder Fluchtweg und nicht jeder Asylantrag nach einem Schema ablaufen kann. Ein Verweis darauf, dass der Mensch und sein Wohlbefinden im Vordergrund stehen sollte und nicht das Gesetz. Was bleibt ist der fragende Gedanke, was wohl in diesem System schief läuft.
„Little Alien“ behandelt einfühlsam und sensibel einen großen Themenblock, der sich aus dem Versagen der Behörden, den Problemen der Asylsuchenden und der Grenzproblematik zusammenstellt. Ein intelligent reflektierender Film.

Alexandra Toth, chilli.cc, September 2009

 

Little Alien besticht durch eine hervorragende Strukturierung, die weitläufige Themenblöcke wie Grenzproblematik, Behördenversagen und Probleme der Asylsuchenden inhaltlich konsequent abdeckt. Ein Film, der sich durch seine intelligente Vorgehensweise und seine berührenden Schicksale positiv heraushebt.

David Rams, Allesfilm

 

Der österreichischen Regisseurin Nina Kusturica ist mit „Little Alien“ ein schnörkelloser, in höchstem Maß intelligent reflektierter Film gelungen, in dem sie Jugendliche über mehr als ein Jahr hinweg mit sensiblem Blick auf Beiläufiges auf ihrem Weg in eine ungewisse Zukunft begleitet hat. Ein Herzensanliegen, ein Statement, das die Regisseurin und ihr Team nach der Premiere noch einmal bekräftigten, als sie die Bühne für das Publikumsgespräch aus Solidarität zu den vielen Flüchtlingen, die Jahr für Jahr auf ihren abenteuerlichen Reisen in ein besseres Leben ertrinken, mit Schwimmwesten bekleidet betraten.

Köksal Baltaci, Tiroler Tageszeitung

 

Der Film zeichnet sich durch einfühlsames Beobachten aus. Auf klassische Interviews wurde in den Haupterzählsträngen verzichtet; stattdessen begleitet der Zuseher wie ein normaler Teil der Gruppe die ProtagonistInnen Asha und Nura aus Somalia, Alem und Jawid aus Afghanistan, und viele andere auf ihrem Weg in und durch die für sie neue Welt. Zusätzlich wird in einigen strategisch platzierten Szenen ein nüchterner Blick auf die „andere Seite“ präsentiert, die hochtechnisierten Überwachungszentren und Grenzanlagen rund um die Europäische Union. Schmerzlich werden dabei Erinnerungen an die Berliner Mauer und Ähnliches wach.

Max Werschitz, Kinomo

 

Ohne die persönlichen Leidenswege zu rekonstruieren, gelingt es Kusturica, traumatische Erlebnisse schlaglichtartig vor Augen zu führen: eine Schusswunde, die noch immer Kopfschmerzen verursacht, die Überfahrt nach Lampedusa, die zahllosen Schläge und Misshandlungen von Polizei und Militär. Kusturica stellt die entscheidenden Behörden wie das Bundesasylamt jedoch nicht den Jugendlichen als anonyme Instanzen gegenüber, sondern lässt präzise den institutionellen Ablauf und die damit einhergehende Eigendynamik anschaulich werden: Auch die helfenden Betreuer, Vereine und Übersetzer sind Teil desselben Systems. „Wenn ich in Afghanistan geblieben wäre, hätten sie mich erschossen, und ich hätte meine Ruhe“ , meint einer der Jugendlichen. „Sag das denen hier, und sie erschießen dich auch“ , lautet die lapidare Antwort des anderen ...

Michael Pekler, Der Standard

 

Sie kennen die Straßen und Häfen von Spanien, Griechenland und Marokko, die man als mit Geld und Papieren ausgestatteter „Alien“, de facto also ein Fremdling, nicht aufsuchen würde. Sie wissen, wie man untertaucht und sich ohne Hilfe durchschlägt, wirken aber in keinem Moment hart oder cool. Schauplätze der Dokumentation sind „Europas Grenzen“, mitten in Wien, Linz oder Traiskirchen.
Es sind beklemmende, unkommentierte Bilder, in denen man junge Menschen in Parks und Abbruchgebäuden hausen sieht.
Die Polizei bewegt sich an den Grenzen offenbar in einer Grauzone und ist nach den Aussagen der Flüchtlinge schnell mit Knüppel und Fäusten zur Stelle ... Nina Kusturica liefert ein starkes Stück Film, das es auf jeden Fall wert ist gesehen zu werden.

Pascal Honisch, Kurier

 

Eine rastlose Abfolge von Bildern, Stationen einer Flucht: zuweilen unübersichtlich, nicht gleich einzuordnen, mit Rekursen auf Vergangenes, erzählt in Schlaglichtern. So findet Kusturica eine dramaturgische Struktur, eine Erzählweise für gefundene Realitäten. Die Unmittelbarkeit vieler Szenen erhebt den Anspruch darauf, politisch zu werden, wo sonst Konvention zu bemühen wäre. Der Flüchtling als zugerichtetes Subjekt etwa. Stattdessen Spuren, die eben nicht im geografischen Sinn zurück zum Herkunftsort fuhren, sondern in Körperhaltungen, in – zum Beispiel – einem Gesicht ablesbar werden. Nicht in Furchen, eher im Lachen.
,,So viel habe ich noch nie gelacht, Hallazi", scherzt eine junge Somalierin in der kleinen Gruppe von Landsleuten. An dem Nicht-Ort des Zusammentreffens – einem Lokal, dem Aufenthaltsraum eines Vereins? – wird hinter dem Geschehen, unter der Bildoberflache, etwas spürbar: eine Haltung zu, ein Agieren in einer bestimmten (Lebens) Situation.
Erstaunlich, was Little Alien auf dieser Ebene leistet: gesellschaftliche Stigmatisierung, ob in böser oder wohlmeinender Absicht, findet sich in den Bildern der Montage nicht wieder. Es geht um ein In-Beziehung-Setzen von Orten, von Akteuren, von Erfahrungen, von Signalen. Dabei ist vieles hier nicht eindeutig: Ämter und Vereine betreuen die minderjährigen Flüchtlinge, organisieren und reglementieren sie aber auch. Kusturica gelingt es, diese Ambivalenzen sichtbar zu machen. Die Hoffnungen der Jugendlichen treffen auf Prozesse, denen sie sich zur Einlösung eben dieser Hoffnungen unterwerfen müssen – und denen gegenüber sie sich zugleich zu behaupten versuchen. Die Auswahl des Materials macht in wenigen Szenen deutlich, wie Parteienverkehr im Verwaltungssegment von Migration aussieht.
Trotz der Präsenz der Kamera werden groteske Momente deutlich, ist der Sprung vom ,,Fremden“ zum ,,Alien“ nicht weit: Welten, nicht Kulturen treffen hier aufeinander.

Gunnar Landsgesell, Kolik Film